Berlin. Wir haben eine Menge Probleme im Land, die nach Lösungen rufen. Und wir wissen nicht, wer der oder die Beste für das Führungsamt ist. Zwar hat Kramp-Karrenbauer mit knapper Mehrheit den Parteivorsitz für sich gerettet, aber die Wähler im Land sind sehr wohl unschlüssig, ob das der Weisheit letzter Schluss ist. Schließlich geht es noch um die Kanzlerschaft in Deutschland und da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Auch wenn jetzt überall die Propheten und Besserwisser aus ihren Löchern kommen und ihre Meinung dazu kundtun. Friedrich Merz als unsympathischen Verlierer abzutun, wie es der Kolumnist Hans-Ulrich Jörges vom STERN tut, ist viel zu oberflächlich. Dessen Meinungsmache wollen wir im nachfolgenden Text gerne untersuchen, da hier offensichtlich mehr persönliche Abneigung statt objektiver Analyse im Raum steht. Dass Friedrich Merz verdient verloren habe im Kampf um den CDU-Vorsitz ist Unsinn, dass er viele Fehler gemacht und Arroganz gezeigt habe, lassen wir offen. Was das Thema Wirtschaft beispielsweise betrifft, kann Merz Vieles, was Kramp-Karrenbauer nicht kann. Der eine hat Erfolg und Erfahrung bei diesem Thema, die andere nicht. Das ist Fakt. Und zu guter Letzt will Annegret Kramp-Karrenbauer dem Unterlegenen keinen Ministerposten anbieten. Da fragt man sich, was die Gründe sind: Angst, dass er sich in den nächsten Jahren erfolgreich etablieren könnte, oder einfach nur die Revanche für einen „Wahlkampf“, bei dem der ein oder andere böse Spruch in ihre Richtung ging?
Wie formulierte der Stern-Kolumnist in seiner Kolumne „Zwischenruf aus Berlin“ sehr subjektiv und hämisch: „Am Ende durften sich jene bestätigt fühlen, die ihm ihre Stimme verweigert hatten. Und mancher, der ihn favorisiert hatte, war verstört — oder empört. Denn für einen Stellvertreter-Posten, für Präsidium und Vorstand mochte Friedrich Merz nicht kandidieren, als ihn Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem Hamburger Parteitag im Kampf um den CDU-Vorsitz geschlagen hatte. Im Team mit Jens Spahn, dem zweiten Unterlegenen, unter AKK, der Nummer eins? Nicht Friedrich Merz. Für den galt: Kanzler oder Kohle. Entweder er holt sich auf dem Weg zur Kanzlerschaft den Parteivorsitz — oder er kehrt zurück in die Wirtschaft, zum Geldverdienen. Bloß keine Tränen, keine Schwermut wegen Merz. Er war ein überschätzter Kandidat. Projektionsfläche für jene, die nach 18 Jahren Merkel Klarheit und Führungskraft herbeisehnten. Er aber war anders fokussiert: auf Revanche. Im Old Boys‘ Network. Wie Wolfgang Schäuble, sein Mentor, der eigene Rechnungen mit Merkel offen hatte. Schäuble gegen Merkel, das war das eigentliche Duell des Parteitags. Schäuble verlor auch diesen Kampf, seinen letzten. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt, das Visier geöffnet, was selten ist bei diesem Meister der Mimikry. Und Merz ganz unverblümt zur Wahl empfohlen, weil dies „das Beste für das Land“ sei. Es ging also um die Kanzlerschaft, um das historische Dementi, um die Demütigung Merkels.
Sie hatte Schäuble als CDU-Chef abgelöst, weil ihn ein prall gefüllter Briefumschlag in Kohls Spendenaffäre hineingesaugt hatte. Und sie hatte ihm die Wiedergutmachung mit dem Amt des Bundespräsidenten verweigert. Nun war in Hamburg der offene Bruch zu besichtigen. Als Merkel ihre letzte Rede als Parteichefin absolviert hatte, klappte Schäuble nur wenige Male pro forma mit den Händen. Dann rührte er in dem tosenden Applaus keine Hand mehr. Minute um Minute um Minute. Ganz so, wie der baden-württembergische Delegiertenblock unter Vorsitz seines Schwiegersohns Thomas Strobl verfuhr, als AKK gesprochen hatte. Die allermeisten jedenfalls. Eisig. Feindselig. Merz aber versagte im historischen Moment. Am Morgen der Wahl hatte er noch vorn gelegen. Klar, Botschaften von den Landesgruppensitzungen der Delegierten am Vorabend signalisierten Merkels Machtzentrum, die Sache sei gelaufen. Defätismus griff um sich. Doch dann vergeigte Merz seine Chance. Unpersönlich kam er daher, leidenschaftslos — und rückwärtsgewandt. Er redete da weiter, wo er 2002 aufgehört hatte. Kein Wort zu den Zukunftsthemen, zu Digitalisierung, künstlicher Intelligenz und technologischen Umwälzungen in der Autoindustrie.
Merz versuchte, den alten Männern der Partei nach dem Munde zu reden. Agenda für die Fleißigen, klare Positionen, aha. „Unsere CDU ist heute eine andere als im Jahr 2000″, hatte Merkel gesagt. Das ist nun erwiesen. Sie ist, wenn auch mit knapper Mehrheit, Merkels CDU geblieben.
Schon in den Wochen zuvor hatte Merz Fehler über Fehler begangen. Die überaus erwartbare Frage nach seinem Einkommen brachte ihn ins Trudeln. Beim Asylrecht bewies der Mann der mittleren Oberschicht dann auch noch fachliche Inkompetenz. Um schließlich mit atemberaubendem Zynismus auch Kleinstverdienern Aktien fürs Alter zu empfehlen — und dabei das wenige Gras abzufressen, das gerade über seine Arbeit für den Börsengiganten Blackrock gesprossen war. Ahnungslose der Börse ausliefern, wo die Blackrocks nach undurchschaubaren Strategien Schlitten mit ihnen fahren — der Kanzler einer Volkspartei kann das nicht wollen. Ob Merz das aber je geworden wäre steht ohnehin in den Sternen. Nach den Erhebungen der Meinungsforscher stellt AKK den Schwarzrocker klar in den Schatten. 41 Prozent der Deutschen favorisierten sie, ermittelte Forsa, nur 28 ihn. Im direkten Vergleich hätte er mit 29 zu 35 sogar gegen Olaf Scholz verloren. Was nützt es, wenn einer die Lager konturiert, das eigene aber der Kampagne gegen den „Lobbyisten der Finanzmafia“ aussetzt und zudem noch das Geschäftsmodell der verbündeten FDP zertrümmert? Trocknet eure Tränen.“
Doch Friedrich Merz ist ein Kämpfer, der weiß dass er jetzt agieren muss, bevor ihm sein Alter einen Strich durch die Rechnung macht. Denn noch ist unklar, ob er nicht doch die Wirtschaft beleben könnte. Der DAX ist im freien Fall, das ist eine Katastrophe. Merz könnte gegensteuern. AKK traut das niemand zu. Wie auch? Kramp-Karrenbauer sollte vielleicht schnell einmal umdenken, und die ökonomische Kompetenz von Merz nutzen. Für sich und unser Land. Statt gegen ihn zu sticheln und in boshafter „Andrea-Nahles-Manier“ mit Ätschi und „das hast du jetzt davon“-Gedanken ihren Sieg auszukosten.