Los Angeles steht erneut im Fokus nationaler Aufmerksamkeit. Nach tagelangen Protesten gegen eine umstrittene Einwanderungspolitik hat die US-Regierung entschieden, zusätzlich zu Nationalgarde-Einheiten nun auch Marines auf die Straßen der Millionenmetropole zu schicken. Es ist das erste Mal seit den Unruhen von 1992, dass das Militär in so großem Umfang in Kalifornien zum Einsatz kommt – ein Schritt, der tiefgreifende Fragen zur Verhältnismäßigkeit und zur Trennung von ziviler und militärischer Gewalt aufwirft.
Hintergrund sind eskalierende Demonstrationen in mehreren Stadtteilen, insbesondere in Boyle Heights und South Central. Auslöser der Proteste war eine massive Einwanderungsrazzia am 5. Juni, bei der Hunderte Menschen, darunter auch US-Staatsbürger mit lateinamerikanischem Hintergrund, vorübergehend festgesetzt wurden. Menschenrechtsorganisationen sprechen von „rassistischer Selektion“ und „rechtswidrigen Verhaftungen“. Die US-Einwanderungsbehörde ICE verteidigt den Einsatz hingegen als „notwendig zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit“.
Während die Nationalgarde bereits seit mehreren Tagen präsent ist, bereitet das Pentagon nun den Einsatz einer Spezialeinheit der US-Marines vor, offiziell mit der Begründung, die „kritische Infrastruktur“ schützen zu wollen. Laut einem internen Regierungsdokument, das der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt, wird den Soldaten zudem das Recht eingeräumt, Personen festzunehmen, sollte dies zur „Stabilisierung der Lage“ notwendig sein.
Bürgermeisterin Karen Bass äußerte sich am Mittwochabend in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz „tief besorgt“ über die Entscheidung aus Washington. „Militärisches Vorgehen kann keine Antwort auf zivile Proteste sein“, sagte sie. Dennoch sei die Stadt verpflichtet, die Sicherheit aller Bürger:innen zu gewährleisten. Der Stadtrat kündigte an, rechtliche Schritte zu prüfen, um den Einsatz zumindest zu begrenzen.
Zivilgesellschaftliche Gruppen sprechen derweil von einem Dammbruch. Die Bürgerrechtsorganisation ACLU warnte: „Einmal eingesetztes Militär in US-Städten könnte zu einem gefährlichen Präzedenzfall werden – nicht nur für Los Angeles, sondern für das ganze Land.“ Auch international stößt der Einsatz auf Kritik. Amnesty International äußerte „ernsthafte Bedenken“ hinsichtlich des Umgangs mit Grundrechten.
Die Proteste selbst zeigen unterdessen keine Anzeichen eines Abebbens. Täglich versammeln sich Tausende auf zentralen Plätzen, um gegen Abschiebungen, rassistische Polizeigewalt und aus ihrer Sicht undemokratische Maßnahmen zu demonstrieren. Viele tragen Transparente mit Aufschriften wie „We are all Americans“ oder „No military on our streets“.
Politische Beobachter vergleichen die Situation mit historischen Unruhen, etwa nach dem Tod von George Floyd 2020 oder den Watts Riots von 1965. Damals führten ebenfalls Polizeigewalt und strukturelle Ungleichheit zu tagelangen Ausschreitungen. Der jetzige Einsatz von Militärkräften könnte jedoch eine neue Eskalationsstufe markieren.
Ob der Einsatz der US-Marines tatsächlich zur Beruhigung der Lage beiträgt oder eher neuen Zündstoff liefert, bleibt offen. Klar ist nur: Die gesellschaftlichen Gräben, die sich in Los Angeles auftun, reichen weit über die Stadtgrenzen hinaus – und könnten zum Symbol einer nationalen Zerreißprobe werden.